Heute gab das Gericht der Europäischen Union (EuG) ein Urteil in einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen LEGO und einem anderen Spielzeugproduzenten bekannt, die seit 4 Jahren weitgehend unbeobachtet im Hintergrund ablief. Das EuG entschied zugunsten von LEGO, sodass die Designrechte an einem bestimmten Element weiterhin bestehen bleiben – jedenfalls bis auf Weiteres.
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es überhaupt?
Kurze Erklärung zum Einstieg: Es dreht sich in diesem Fall hier nicht um Marken-, Urheber- oder Patentrechte, sondern um ein eingetragenes Design, was auch als Geschmacksmuster bezeichnet wird. Konkret bezieht sich der Fall auf das Design mit der Nummer 001664368-0006, welches LEGO im Februar 2010 hat eintragen lassen. Dieses Design schützt das als Tile, Modified 3 x 4 with 4 Studs in Center bezeichnete Element, das seit 2010 bei den Minifiguren-Serien als Basisplatte und inzwischen auch in normalen Sets eingesetzt wird.
Grundsätzlich sind Designrechte erst einmal ungeprüfte Rechte und können relativ leicht und zu geringen Kosten eingetragen werden. Ein Design ist dann maximal 25 Jahre lang gültig und kann (im Gegensatz zu einer Marke) nicht verlängert werden. Da die Designrechte bei der Eintragung nicht geprüft werden, kann man auch recht einfach einen Nichtigkeitsantrag stellen, der bei Erfolg zur Löschung der Eintragung führt.
So geschah es auch hier, ausgehend von der Delta-Sport Handelskontor GmbH. Diese stellte im Jahr 2016 einen Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit für das von LEGO eingetragene Design. Wem die Firma nichts sagt: Die Delta-Sport Handelskontor GmbH vertreibt unter anderem die “Playtive” Klemmbausteinsätze für Lidl (der Hersteller ist GUDI), hat aber auch viele weitere Geschäftsfelder. Insgesamt beschäftigt die Firma über 200 Mitarbeiter.
Der von Delta-Sport eingereichte Antrag wurde vom EUIPO (European Union Intellectual Property Office) zunächst abgelehnt. Daraufhin zog das Unternehmen vor die interne Beschwerdekammer des EUIPO, legte dort Beschwerde gegen die Ablehnungsentscheidung ein und bekam im April 2019 Recht, wodurch das Geschmacksmuster zunächst für nichtig erklärt wurde.
Dagegen setzte sich wiederum LEGO zur Wehr, was formal nur dadurch möglich war, mit dem EUIPO vor das Gericht der Europäischen Union zu ziehen, dessen Urteil heute zugunsten von LEGO ausfiel, wie per Pressemitteilung bekannt gegeben wurde.
Das Urteil des EuG
In seinem heutigen Urteil erklärte das EuG, die Beschwerdekammer des EUIPO (welche die Nichtigkeitserklärung veranlasst hatte) habe Rechtsfehler begangen, indem von LEGO im Verfahren vorgebrachte Ausnahmeregelungen nicht genügend geprüft worden seien. (Hervorhebungen in den folgenden Zitaten durch StoneWars)
Ausnahmsweise können jedoch die mechanischen Verbindungselemente von Kombinationsteilen ein wichtiges Element der innovativen Merkmale von Kombinationsteilen bilden und einen wesentlichen Faktor für das Marketing darstellen und sollten daher schutzfähig sein.
Außerdem beanstandete das Gericht, dass die Beschwerdekammer des EUIPO nicht alle Merkmale des Steines ausreichend geprüft habe.
Das Gericht führt sodann aus, dass ein Geschmacksmuster für nichtig zu erklären ist, wenn alle Merkmale seiner Erscheinung ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses, auf das es sich bezieht, bedingt sind, dass aber das fragliche Geschmacksmuster nicht für nichtig erklärt werden kann, wenn zumindest eines der Erscheinungsmerkmale des von einem angefochtenen Geschmacksmuster erfassten Erzeugnisses nicht ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt ist.
Laut EuG hätte diese Prüfung aller Erscheinungsmerkmale allerdings stattfinden müssen, bevor die Nichtigkeit durch die Beschwerdekammer des EUIPO erklärt wurde. Unter anderem wurde die glatte Oberfläche, die der Stein auf zwei Seiten der viernoppigen Reihe auf der Oberseite aufweist, nicht als Merkmal berücksichtigt. Daher wurden nicht alle Erscheinungsmerkmale ermittelt und “erst recht nicht festgestellt […], dass alle diese Merkmale ausschließlich durch die technische Funktion dieses Erzeugnisses bedingt waren.”
Gegen die Entscheidung des Gerichtes kann nun innerhalb von 2 Monaten und 10 Tagen ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH (Europäischen Gerichtshof) eingelegt werden. Dieser Einspruch muss allerdings vermutlich durch das EUIPO erfolgen und nicht etwa durch die Delta-Sport Handelskontor GmbH.
Das Urteil abschließend zu interpretieren, soll an dieser Stelle versierten Juristen überlassen werden. Aus der Sicht eines interessierten Laien liest sich das Urteil so, dass es vor allem aufgrund von Rechtsfehlern gefällt wurde. Das EuG hat damit also die Nichtigkeitserklärung für unrechtmäßig erklärt, aber damit nicht explizit die Schutzfähigkeit des Steins bestätigt. Allerdings wurde zumindest mit dem Verweis auf die glatte Oberfläche des Steines erklärt, dass diese eben nicht nur technisch bedingt sein könnte. Dies kann als Fingerzeig des Gerichts interpretiert werden, dass es sich durchaus um eine schützenswerte Eigenschaft im Sinne eines Geschmacksmusters handeln könnte.
Das Urteil im Volltext lässt sich (bisher nur in englischer Sprache) hier finden.
Warum sind Designrechte wichtig für LEGO?
Vermutlich war der einzelne Designschutz dieses einen speziellen Teils der LEGO Gruppe gar nicht so wichtig, da es wohl nicht zu den bedeutendsten geschützten Teilen gehört, die LEGO aktuell im Sortiment hat. Aber durch die Nichtigkeitserklärung wäre ein Präzedenzfall geschaffen worden, der zu weiteren (mutmaßlich erfolgreichen) Nichtigkeitsanträgen hätte führen können.
So hatte beispielsweise schon gestern mit Thorsten Klahold ein anderer deutscher Händler und Youtuber angekündigt, für zehn weitere eingetragene Designs von LEGO einen Antrag zur Erklärung der Nichtigkeit zu stellen. Telefonisch teilte uns Klahold mit, mit seinem Vorhaben auch nach diesem Urteil des EuG fortfahren zu wollen. Auch hier hat übrigens Qman abermals angekündigt, die Kosten und Folgekosten dieser Auseinandersetzung zu übernehmen, die sich allerdings ohnehin nur auf einen vierstelligen Betrag belaufen dürften.
Aber warum sind Designrechte generell eigentlich so wichtig für LEGO?
Seitdem das Patent auf die LEGO Steine abgelaufen ist und auch der Markenschutz der meisten Steine zumindest im Bereich Spielzeug für nichtig erklärt wurde, sind durch Geschmacksmuster und Designs geschützte Einzelsteine eine der letzten Möglichkeiten, die LEGO hat, um bestimmte Steine zu schützen.
Oft schützt LEGO damit neu entwickelte Steine, die in aktuellen Themenwelten und Sets vorkommen, und sorgt damit unter anderem dafür, dass es eine gerichtliche Handhabe gegen die Einfuhr von 1-zu-1-Kopien von Sets gibt. Denn diese werden zwar online (z.B. auf asiatischen Markplätzen, die rechtlich kaum angreifbar sind) teilweise mit urheberrechtlich geschütztem Material beworben, bei der Einfuhr in die EU handelt es sich dann aber formal einfach nur um einen Haufen Bausteine. Eine Box oder Anleitung wird hierbei oft nicht mitgeliefert, da letztere ja kostenlos direkt bei LEGO verfügbar ist.
Geschützte Einzelsteine können insofern für eine effektive Handhabe beim Zoll gegen solche 1-zu-1-Kopien sorgen und es damit den Nachahmern zumindest etwas schwerer machen.
Natürlich schränkt dieser Designschutz aber auch den legitimen Wettbewerb dahingehend ein, sich am gesamten Portfolio der Steine zu bedienen, was bei absoluten Basis-Steinen wie der 3 x 3 Platte oder der 6 x 6 Rundplatte durchaus in seiner Sinnhaftigkeit angezweifelt werden darf. Ob LEGO in der Vergangenheit bei anderen geschützten Elementen wie den gerade genannten Platten aber tatsächlich gegen die Nutzung dieser Teile durch Konkurrenten vorgegangen ist, ist zumindest uns nicht bekannt.
Statement von LEGO
LEGO hat sich uns gegenüber auf Nachfrage kurz zur Entscheidung des EuG geäußert und zeigt sich wie erwartet erfreut über dessen Entscheidung:
Wir begrüßen die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union (EuG), unser eingetragenes Geschmacksmuster aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung bestätigt unsere Überzeugung, dass Originaldesigns durch die Gesetzgebung vor Nachahmung geschützt werden sollten.
Fazit und persönliche Meinung
Ich hatte, wie viele andere Beobachter des Prozesses auch, mit einem anderen Urteil gerechnet und hätte das auch gut nachvollziehen können. Aus meiner persönlichen Sicht gibt es abseits der technischen Funktion bei diesem Teil in der heutigen Zeit nur wenige Gründe für die Gestaltung der Fliese.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die hier verhandelte 3 x 4 Fliese in dieser Form bei LEGO seit 2010 bei den Minifiguren-Serien zum Einsatz kam und zu dieser Zeit auch das Design geschützt wurde. Als Standplatte für die Minifiguren haben die vom Gericht genannten glatten Flächen durchaus eine rein dekorative Funktion. Erst viel später, im Juni 2014, wurde das Element auch erstmalig in zwei Sets als reguläres Bauteil genutzt. Seitdem erfüllt die Fliese bei LEGO zwar zumeist dekorative Zwecke, wird aber auch technisch für bestimmte Bautechniken genutzt. Bei der Anmeldung im Jahr 2010 war der Designschutz aber meines Erachtens durchaus berechtigt.
Etwas anders sieht es aus meiner Sicht bei einigen weiteren, aktuell von LEGO geschützten, Bausteinen aus, wie beispielsweise den oben genannten Platten. Wie hier Gerichte entscheiden werden und ob sich auch im Falle der 3 x 4 Fliese in einem vermutlich folgenden Verfahren noch etwas ergeben wird, muss die Zukunft zeigen und wird vermutlich noch mehrere Anwält*innen und Richter*innen beschäftigen.
Dass die LEGO Gruppe über das Urteil erfreut ist, ist wenig verwunderlich. Ein Urteil zu ihren Ungunsten hätte nämlich vermutlich einen für LEGO gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, gerade auch, was die bereits erwähnten 1-zu-1-Kopien von Sets anbelangt. Denn das Konzept der Klemmbausteine sorgt eben dafür, dass eine solche Kopie, die in anderen Branchen ein klarer Rechtsverstoß wäre, formal betrachtet für den Zoll nur einen Haufen ungeschützter Einzelsteine darstellt. Aus dieser Sichtweise ist das Urteil für mich persönlich daher zu begrüßen.
Dennoch führen manche von LEGO eingetragene Designrechte das von LEGO kommunizierte Vorgehen (“Originaldesigns [sollten] durch die Gesetzgebung vor Nachahmung geschützt werden”) ad absurdum, was vor einigen Monaten in der versuchten (und mittlerweile zurückgezogenen) Anmeldung der 1×5 Platte gipfelte. Diese ist nämlich nicht nur mit großer Sicherheit rein technisch bedingt, sondern vor allem auch nicht neuartig, denn sie kommt in den Systemen anderer Hersteller schon lange vor.
Es bleibt zu hoffen, dass sich in den Auseinandersetzungen ein für alle Marktteilnehmer gangbarer Mittelweg findet, der auch weiterhin dafür sorgt, dass alle auf dem Markt befindlichen Firmen Zeit und Geld in die Entwicklung neuer Steine und Designs stecken und dass alle Firmen sich hier gegen 1-zu-1-Kopien nachhaltig schützen können. Wobei hier sicherlich vor allem auch die Konsument*innen gefragt sind und für sich entscheiden müssen, welche Firmen sie unterstützen möchten.
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